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im Interview mit Nina Friedmann für Paradies One

Veröffentlicht am 18.07.2014

Herr Thormann, sind Ihnen die Natur und Freiheit wichtig?

Mit der Freiheit ist das so eine Sache. Frei fühlt man sich immer dann, wenn man sich von Dingen lösen oder diese verändern kann. In Räumen ohne Grenzen erlebt man paradoxerweise ganz schnell eine Art Inselkoller und leidet unter  der Gefangenschaft in gähnender Belanglosigkeit.  Formen unterscheiden sich voneinander immer durch Begrenzungen. Ohne Formen mit ihren Grenzen gebe es keine Kommunikation und keine Gestaltungsräume. Das gilt für Gesellschaft, Natur und Kunst gleichermaßen. Neben einer anregenden Umgebung, bedeutet für mich Freiheit insbesondere, das eigene Selbst zu durchschauen und vor dem Hintergrund fortschreitender Komplexität von Gesellschaft Sinn für mich und andere zu generieren.  Wenn ich male, passt das alles ganz gut.

Menschen verbringen immer mehr Zeit in virtuellen Welten; wesentliche Inhalte lagern wir in Smartphones, Clouds und Computer aus – als wären es externalisierte Organe. Sind sie kaputt, fühlen wir uns krank. Die Steigerung der Flexibilität einerseits, macht uns andererseits unfrei. Im Gegensatz dazu, hilft die Natur dem entfremdeten Menschen Körper und Bewusstsein im Einklang zu erleben. Für mich bietet Natur immer auch ganz besonders authentische Erfahrungen. Sie gestaltet absichtsfrei unglaublich fein abgestimmte Lebenszusammenhänge, die sich in Farben und Formen ausdrücken.

 

Was ist Ihre Philosophie und Botschaft? Was ist Ihnen am wichtigsten?

Eine Botschaft habe ich nicht.  In meinem Beruf helfe ich dabei, jungen Menschen eine Lernumgebung zu schaffen, die geeignet ist,  die Voraussetzungen zu erwerben, ein glückliches und verantwortungsvolles Leben zu führen.  Mir persönlich sind schöne Dinge und Authentizität wichtig. Dabei ist letzteres eine echte Herausforderung. Wer weiß schon genau, wer man eigentlich ist und was echt ist. Zunehmend mehr ist es mir persönlich auch wichtig, Gutes zu tun. Meine Philosophie? Ich weiß, dass alles, was ist, auch anders sein kann und ich bin vorsichtig mit den Dingen, die ich mir wünsche.

 

Sie sind weit gereist. Wo war Ihre größte Inspiration, Ihr schönstes Erlebnis? 

Reisen ist für mich ein grundlegender Lebensinhalt, nicht zuletzt um meine eigenen kulturellen Muster und Reflexe zu erkennen.  Ich fühle mich an vielen Orten der Welt zu Hause, insbesondere in Südostasien und bewege mich  derzeit zwischen Prenzlauer Berg, Rom und Kairo. In Ägypten, wo ich acht Jahre meines Lebens verbrachte, haben sich viele meiner Überzeugungen grundlegend verändert. Das Leben hier zeigt in vielerlei Hinsicht unscharfe Trennungen zwischen Raum und Funktion und ist in diesem Sinne frei. Alles hängt mit allem zusammen und überall wird kommuniziert. Das ist wunderbar. Die lediglich in Grenzen stabilen Systeme unterminieren persönliche Planungen, was zu einem gewissen Fatalismus im Alltag führt. Im Ergebnis dessen lebt man stärker im Jetzt. Ich weiß nicht, was mich inspiriert. Die Dinge sind irgendwann da.

 

Was sollte Kunst für die Gesellschaft bedeuten?

Kunst ist das über die praktischen Bedürfnisse des Lebens hinausgehend Geschaffene. Sie macht uns zum Menschen. Sie ist überall dort, wo es jemanden gibt, der sie „sieht“.

 

In welchem Alter sollte die Kunst professionell gefördert werden?

Kunst sollte unabhängig vom Alter professionell gefördert werden.

 

Wie viele Sprachen sprechen Sie? Was fasziniert Sie an der Kunst und an Sprachen im Allgemeinen?

Sechs Sprachen auf unterschiedlichem Niveau. Mit Sprachen dringt man in die Geisteswelten unterschiedlicher Kulturen ein. Im Sprachvergleich erkennt man dann ganz schnell, dass sich unterschiedliche Kulturen auf dieselben Phänomene teilweise ganz anders beziehen. Im Sprachvergleich wird aber auch die Begrenztheit von Sprache als Kommunikationsmittel deutlich. Faszinierend an Sprache ist für mich die Tatsache, dass man sozusagen in Näherungswerten kommuniziert oder anders gesagt: Bei der Verwendung desselben sprachlichen Begriffs haben Gesprächspartner doch immer sehr unterschiedliche Bilder im Kopf.  Dennoch erwarten Menschen, verstanden zu werden.  Dabei ist Verständnis angesichts dieser Tatsache, doch extrem unwahrscheinlich.

Was fasziniert mich an Kunst? Kunst irritiert. Sie trägt dazu bei, Normatives zu erkennen, infrage zustellen und sie schafft neue Sichtweisen. Sie bedient sich Symbolen, die außerhalb üblicher sprachlicher Formen liegen und erlaubt damit Kommunikation auf ganz anderer Ebene.

 

Was wollten Sie schon immer mal sagen…?

Die Erfindung des Rades, der Dampfmaschine und des Internets führten zu grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen. Ich glaube, das nächste große Thema wird die Entdeckung und Kartierung des Bewusstseins sein.

 

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Ägypten - Das Prinzip des in Grenzen Stabilen

Veröffentlicht am 22.12.2013
... unaufhörliches Hupen der Autos, Rufe des Bawabs; Durchzug lässt ab und zu die Fensterläden zuschlagen. Staubpartikel sind in den Sonnenstrahlen sichtbar, die in das verdunkelte Zimmer eindringen. Die Klimaanlage ist kaputt. Gut, dass zu den Hinterlassenschaften der italienischen Vormieterin neben der Bialetti-Moka-Express- Maschine ein Ventilator tschechischen Fabrikats gehört.



Draußen in der Küche höre ich das Klappern von Geschirr. Karim ist da und bereitet das Frühstück vor – ein untrügliches Zeichen dafür, dass heute Freitag ist. Im Sommer trägt er beim Saubermachen immer ein weißes Baumwollunterhemd. Wir reden nicht viel. Unser Verhältnis ist herzlich und respektvoll. Manchmal macht seine Frau Kokoskuchen mit frischen Limetten für mich, den er zwei Stunden vom einen Ende der Stadt bis nach Zamalek transportiert. Von einem befreundeten englischen Künstler, der sich schon vor Jahrzehnten entschieden haben muss, in einer Parallelwelt zu leben, hatte Karim, neben anderen nützlichen Dingen, Englisch gelernt. Aus Höflichkeit tut er so, als verstünde er mein Gestammel in ägyptischem Arabisch.



Es klingelt. An der Wohnungstür steht der Schuhputzer und will 50, -L.E für sechs paar Schuhe. Die Wäsche ist zwei Tage zu spät und die Kragen sehen aus, als wären sie das Opfer eines Mahlwerks geworden. Ich sollte aufstehen, um diesem neokolonialen Lebensgefühl ein Ende zu bereiten.



Es dauert einen Moment, ehe das warme Wasser aus dem Boiler kommt. Leicht grau rinnt es über die gesprungene Emaille der Badewanne. Den Duschvorhang mit Bach-Blütencharme hatte ich bei Einzug sofort von der Stange gerissen. Seitdem habe ich den Duschraum auf das gesamte Badezimmer ausgedehnt. Die sich unkontrolliert ausbreitenden Wassermassen hätten in gemäßigten Klimazonen unweigerlich zu kriegsartigen Zuständen mit den Nachbarn geführt. Hier jedoch steht mir das Klima zur Seite und das Wasser ist in Minutenschnelle verdunstet.



Das Frühstück auf der Terrasse ist an dem Cappuccino aus italienischem Kaffeepulver ausgerichtet. Dank der Prise Kardamom ist dieser Zentrum des interkulturellen Spannungsfeldes meines Frühstücks.



Was als kulinarische Herausforderung morgens auf dem Balkon ganz gut zu bewältigen ist, drohte für mich noch vor drei Jahren in einer künstlerischen Bankrotterklärung zu enden. Mein Freund F. setzte damals den Termin für eine gemeinsame Ausstellung in Zamalek fest. Selbstredend mussten wenigstens einige der Bilder aussagekräftige Wahrnehmungen Ägyptens liefern. Einigermaßen verzweifelt versuchte ich mich gegen orientalistische Reflexe zu wehren und hinter dem süßlich verträumten Nebel aus Kamelen, Palmen, Pyramiden und Galabeyas das zu erkennen, was die charakteristische Symbolik einer lebendigen Kultur ausmacht.



Als Ausländer besitzt man mit der Fähigkeit des Vergleichens zwischen eigener und sogenannter fremder Kultur ein geeignetes Werkzeug, welches Kontraste als fotografisches Negativ erzeugt. Dennoch fällt mir das Erstellen einer Skizze ägyptischer Wirklichkeiten vergleichsweise schwer.



Konturen hinterlassen die ineinanderfließende Ströme von Taxen, Minivans, Bussen und Lastwagen. Deren optische Präsenz scheint eins mit dem Lärm und der schweren Luft, welche einen klebrig, brennenden Film an den Augenliedern hinterlässt.

Autos bewegen sich auf den Fußwegen, Passanten stehen wartend auf den Straßen; gelassen blockieren Straßenhändler Hauptverkehrsadern an den ungünstigsten Punkten; Ampeln und Polizisten an Kreuzungen dienen bestenfalls als ambitionierte Dekoration: Räume und Funktionen sind nur lose aneinander gekoppelt.



Diese Form des in Grenzen Stabilen zieht sich wie ein Grundprinzip durch unterschiedliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Wer erwartet hier die Einhaltung von Fahrplänen, Verabredungen, Verträgen, Gesetzen, die vollständige Fertigstellung von Produkten oder Reparaturaufträgen, zuverlässige wissenschaftliche Recherchen oder eine verlässliche Bewertung von zentralen staatlichen Schulprüfungen?



Die Kommunikation mit Näherungswerten spiegelt sich in der Sprache wider, wird durch sie konserviert und pflanzt sich durch ihre Verwendung fort.



Auf diese Weise geprägt, bietet Gesellschaft kaum zuverlässige Handlungsrahmen und beraubt sich damit ihrer Planbarkeit; die gesamtgesellschaftliche Entwicklung wird so entschleunigt. Zu einer vergleichsweise ungehemmten Entwicklung kommt es überall dort, wo es dennoch gelingt, stabile Bedingungen zu schaffen.



Für den Einzelnen führt das Erleben einer ständigen Differenz zwischen Erwartungshaltung und tatsächlich Erreichtem schnell zu einer Art Dauerfrustration. Als Überlebensstrategie kann man entweder Erwartungshaltungen stark reduzieren und sich im Vertrauen auf eine regulierende Kraft treiben lassen oder Ziele und Erwartungen völlig von der Realität lösen und sich eine Scheinwelt basteln, die dem fremden Beobachter oft ein verstörtes Kopfschütteln abringt.

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Ägypten "Wo das Volk putscht"

Veröffentlicht am 22.12.2013

.. ist es nicht schematisch stark vereinfacht, den ägyptischen Weg nach dem Vorhandensein eines demokratischen Oberflächenanstrichs zu bewerten?

Große Teile der Bevölkerung machten von ihrem Wahlrecht nach der Revolution keinen Gebrauch oder waren sowohl mit dem Wahlmodus als auch der Einschätzung der teilweise nicht einmal ansatzweise vorhandenen Wahlprogramme überfordert. Zum Teil wurden Wählerstimmen gekauft. Andere Wähler gelangten aus verschiedenen Gründen überhaupt nicht an die Wahlurnen oder folgten bei der Kandidatenwahl der Familienräson ihres Clans. Lediglich ein Viertel dieser vergleichsweise kleinen Wählerschaft entschied sich im ersten Wahlgang für den Präsidentschaftskandidaten Al Mursi.

Die Regierung repräsentierte somit keinesfalls den Mehrheitswillen der Gesamtbevölkerung und vermochte es nicht, jene vorrangig jugendlichen Gruppen politisch zu integrieren, welche als Initiatoren und Träger der Reformbewegung gelten.

Stattdessen ließ sie sich nicht davon abhalten, der gesellschaftlichen Entwicklung einen grundlegenden, weit über den demokratisch legitimierten Kontext hinausgehenden Paradigmenwechsel zu verordnen.

Während sich die soziale und wirtschaftliche Lage der Bevölkerung drastisch verschlechterte, waren keine greifbaren Lösungsansätze in Sicht. Vor dem Hintergrund des innen- und außenpolitischen Vertrauensschwundes drohte dem Land der wirtschaftliche und gesellschaftliche Kollaps.

Die Proteste mit der Forderung des Rücktritts Al Mursis waren somit ein demokratischer Überlebensreflex und Ausdruck des Bedürfnisses nach Weltoffenheit. Demonstrationen mit einer Beteiligung von 20-30 Millionen Menschen in den Rahmen der Semantik eines Militärputsches zu zwängen, greift deutlich zu kurz – selbst dann, wenn die Ziele der Demonstranten mit den Interessen des Militärs zusammenfielen.

Auch im Zuge der Revolution von 2011 griff das Militär in die Geschehnisse ein um dem erklärten Willen der Straße zu entsprechen, wenngleich damals niemand ernsthaft von einem Putsch sprach.
Anders als vor zwei Jahren, ging es jedoch jetzt nicht zuletzt um die Abwendung eines Bürgerkrieges in dem bevölkerungsreichsten arabischen Land mit interreligiösem Spannungspotential.

Mit der Absetzung Al Mursis und der damit entstandenen Kluft zwischen Militär und Bruderschaft legte sich Al Sisi politisch fest. Angesichts der kompromisslosen Forderungen der Bruderschaft auf der einen Seite und den Erwartungen der Mehrheit der Bevölkerung auf der anderen Seite bleibt ihm nur wenig Spielraum für die zügige Herstellung öffentlicher Sicherheit. Somit ist eher damit zu rechnen, dass sich der politische und wirtschaftliche Einfluss des Militärs mit seinen Relikten aus den Zeiten von Nasser und Sadat festigen wird.

Politische Stabilität wird es jedoch erst dann geben können, wenn es gelingt, alle politischen Kräfte in die gesellschaftliche Gestaltung einzubinden und Reformen in Wirtschaft, Bildung und Verwaltung voranzutreiben. Insbesondere der schwierigen Herausforderung der Einbindung aller politischen Kräfte müssen sich Militärführung und Übergangsregierung stellen, um ihrem Handeln eine glaubhafte Rechtfertigung zu verleihen.

Die Entwicklungen in Ägypten zeigen einmal mehr, dass Demokratie mehr als ein Wahlgang nach westlichem Kochbuch mit etablierten Parteien ist.

An die Stelle klassischer Organisationsformen, treten zunehmend spontan akkumulierende virtuelle Interessengemeinschaften, welche als machtvolle Instrumente der politischen Meinungsbildung wirken. Daraus folgen neue, teilweise internationale Formen der politischen Partizipation, welche als zeitgemäße Möglichkeit gesellschaftlicher Mitbestimmung erkannt und integriert werden müssen.

Dirk Thormann
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