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Ägypten - Das Prinzip des in Grenzen Stabilen

Veröffentlicht am 22.12.2013
... unaufhörliches Hupen der Autos, Rufe des Bawabs; Durchzug lässt ab und zu die Fensterläden zuschlagen. Staubpartikel sind in den Sonnenstrahlen sichtbar, die in das verdunkelte Zimmer eindringen. Die Klimaanlage ist kaputt. Gut, dass zu den Hinterlassenschaften der italienischen Vormieterin neben der Bialetti-Moka-Express- Maschine ein Ventilator tschechischen Fabrikats gehört.



Draußen in der Küche höre ich das Klappern von Geschirr. Karim ist da und bereitet das Frühstück vor – ein untrügliches Zeichen dafür, dass heute Freitag ist. Im Sommer trägt er beim Saubermachen immer ein weißes Baumwollunterhemd. Wir reden nicht viel. Unser Verhältnis ist herzlich und respektvoll. Manchmal macht seine Frau Kokoskuchen mit frischen Limetten für mich, den er zwei Stunden vom einen Ende der Stadt bis nach Zamalek transportiert. Von einem befreundeten englischen Künstler, der sich schon vor Jahrzehnten entschieden haben muss, in einer Parallelwelt zu leben, hatte Karim, neben anderen nützlichen Dingen, Englisch gelernt. Aus Höflichkeit tut er so, als verstünde er mein Gestammel in ägyptischem Arabisch.



Es klingelt. An der Wohnungstür steht der Schuhputzer und will 50, -L.E für sechs paar Schuhe. Die Wäsche ist zwei Tage zu spät und die Kragen sehen aus, als wären sie das Opfer eines Mahlwerks geworden. Ich sollte aufstehen, um diesem neokolonialen Lebensgefühl ein Ende zu bereiten.



Es dauert einen Moment, ehe das warme Wasser aus dem Boiler kommt. Leicht grau rinnt es über die gesprungene Emaille der Badewanne. Den Duschvorhang mit Bach-Blütencharme hatte ich bei Einzug sofort von der Stange gerissen. Seitdem habe ich den Duschraum auf das gesamte Badezimmer ausgedehnt. Die sich unkontrolliert ausbreitenden Wassermassen hätten in gemäßigten Klimazonen unweigerlich zu kriegsartigen Zuständen mit den Nachbarn geführt. Hier jedoch steht mir das Klima zur Seite und das Wasser ist in Minutenschnelle verdunstet.



Das Frühstück auf der Terrasse ist an dem Cappuccino aus italienischem Kaffeepulver ausgerichtet. Dank der Prise Kardamom ist dieser Zentrum des interkulturellen Spannungsfeldes meines Frühstücks.



Was als kulinarische Herausforderung morgens auf dem Balkon ganz gut zu bewältigen ist, drohte für mich noch vor drei Jahren in einer künstlerischen Bankrotterklärung zu enden. Mein Freund F. setzte damals den Termin für eine gemeinsame Ausstellung in Zamalek fest. Selbstredend mussten wenigstens einige der Bilder aussagekräftige Wahrnehmungen Ägyptens liefern. Einigermaßen verzweifelt versuchte ich mich gegen orientalistische Reflexe zu wehren und hinter dem süßlich verträumten Nebel aus Kamelen, Palmen, Pyramiden und Galabeyas das zu erkennen, was die charakteristische Symbolik einer lebendigen Kultur ausmacht.



Als Ausländer besitzt man mit der Fähigkeit des Vergleichens zwischen eigener und sogenannter fremder Kultur ein geeignetes Werkzeug, welches Kontraste als fotografisches Negativ erzeugt. Dennoch fällt mir das Erstellen einer Skizze ägyptischer Wirklichkeiten vergleichsweise schwer.



Konturen hinterlassen die ineinanderfließende Ströme von Taxen, Minivans, Bussen und Lastwagen. Deren optische Präsenz scheint eins mit dem Lärm und der schweren Luft, welche einen klebrig, brennenden Film an den Augenliedern hinterlässt.

Autos bewegen sich auf den Fußwegen, Passanten stehen wartend auf den Straßen; gelassen blockieren Straßenhändler Hauptverkehrsadern an den ungünstigsten Punkten; Ampeln und Polizisten an Kreuzungen dienen bestenfalls als ambitionierte Dekoration: Räume und Funktionen sind nur lose aneinander gekoppelt.



Diese Form des in Grenzen Stabilen zieht sich wie ein Grundprinzip durch unterschiedliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Wer erwartet hier die Einhaltung von Fahrplänen, Verabredungen, Verträgen, Gesetzen, die vollständige Fertigstellung von Produkten oder Reparaturaufträgen, zuverlässige wissenschaftliche Recherchen oder eine verlässliche Bewertung von zentralen staatlichen Schulprüfungen?



Die Kommunikation mit Näherungswerten spiegelt sich in der Sprache wider, wird durch sie konserviert und pflanzt sich durch ihre Verwendung fort.



Auf diese Weise geprägt, bietet Gesellschaft kaum zuverlässige Handlungsrahmen und beraubt sich damit ihrer Planbarkeit; die gesamtgesellschaftliche Entwicklung wird so entschleunigt. Zu einer vergleichsweise ungehemmten Entwicklung kommt es überall dort, wo es dennoch gelingt, stabile Bedingungen zu schaffen.



Für den Einzelnen führt das Erleben einer ständigen Differenz zwischen Erwartungshaltung und tatsächlich Erreichtem schnell zu einer Art Dauerfrustration. Als Überlebensstrategie kann man entweder Erwartungshaltungen stark reduzieren und sich im Vertrauen auf eine regulierende Kraft treiben lassen oder Ziele und Erwartungen völlig von der Realität lösen und sich eine Scheinwelt basteln, die dem fremden Beobachter oft ein verstörtes Kopfschütteln abringt.

... unaufhörliches Hupen der Autos, Rufe des Bawabs; Durchzug lässt ab und zu die Fensterläden zuschlagen. Staubpartikel sind in den Sonnenstrahlen sichtbar, die in das verdunkelte Zimmer eindringen. Die Klimaanlage ist kaputt. Gut, dass zu den Hinterlassenschaften der italienischen Vormieterin neben der Bialetti-Moka-Express- Maschine ein Ventilator tschechischen Fabrikats gehört.



Draußen in der Küche höre ich das Klappern von Geschirr. Karim ist da und bereitet das Frühstück vor – ein untrügliches Zeichen dafür, dass heute Freitag ist. Im Sommer trägt er beim Saubermachen immer ein weißes Baumwollunterhemd. Wir reden nicht viel. Unser Verhältnis ist herzlich und respektvoll. Manchmal macht seine Frau Kokoskuchen mit frischen Limetten für mich, den er zwei Stunden vom einen Ende der Stadt bis nach Zamalek transportiert. Von einem befreundeten englischen Künstler, der sich schon vor Jahrzehnten entschieden haben muss, in einer Parallelwelt zu leben, hatte Karim, neben anderen nützlichen Dingen, Englisch gelernt. Aus Höflichkeit tut er so, als verstünde er mein Gestammel in ägyptischem Arabisch.



Es klingelt. An der Wohnungstür steht der Schuhputzer und will 50, -L.E für sechs paar Schuhe. Die Wäsche ist zwei Tage zu spät und die Kragen sehen aus, als wären sie das Opfer eines Mahlwerks geworden. Ich sollte aufstehen, um diesem neokolonialen Lebensgefühl ein Ende zu bereiten.



Es dauert einen Moment, ehe das warme Wasser aus dem Boiler kommt. Leicht grau rinnt es über die gesprungene Emaille der Badewanne. Den Duschvorhang mit Bach-Blütencharme hatte ich bei Einzug sofort von der Stange gerissen. Seitdem habe ich den Duschraum auf das gesamte Badezimmer ausgedehnt. Die sich unkontrolliert ausbreitenden Wassermassen hätten in gemäßigten Klimazonen unweigerlich zu kriegsartigen Zuständen mit den Nachbarn geführt. Hier jedoch steht mir das Klima zur Seite und das Wasser ist in Minutenschnelle verdunstet.



Das Frühstück auf der Terrasse ist an dem Cappuccino aus italienischem Kaffeepulver ausgerichtet. Dank der Prise Kardamom ist dieser Zentrum des interkulturellen Spannungsfeldes meines Frühstücks.



Was als kulinarische Herausforderung morgens auf dem Balkon ganz gut zu bewältigen ist, drohte für mich noch vor drei Jahren in einer künstlerischen Bankrotterklärung zu enden. Mein Freund F. setzte damals den Termin für eine gemeinsame Ausstellung in Zamalek fest. Selbstredend mussten wenigstens einige der Bilder aussagekräftige Wahrnehmungen Ägyptens liefern. Einigermaßen verzweifelt versuchte ich mich gegen orientalistische Reflexe zu wehren und hinter dem süßlich verträumten Nebel aus Kamelen, Palmen, Pyramiden und Galabeyas das zu erkennen, was die charakteristische Symbolik einer lebendigen Kultur ausmacht.



Als Ausländer besitzt man mit der Fähigkeit des Vergleichens zwischen eigener und sogenannter fremder Kultur ein geeignetes Werkzeug, welches Kontraste als fotografisches Negativ erzeugt. Dennoch fällt mir das Erstellen einer Skizze ägyptischer Wirklichkeiten vergleichsweise schwer.



Konturen hinterlassen die ineinanderfließende Ströme von Taxen, Minivans, Bussen und Lastwagen. Deren optische Präsenz scheint eins mit dem Lärm und der schweren Luft, welche einen klebrig, brennenden Film an den Augenliedern hinterlässt.

Autos bewegen sich auf den Fußwegen, Passanten stehen wartend auf den Straßen; gelassen blockieren Straßenhändler Hauptverkehrsadern an den ungünstigsten Punkten; Ampeln und Polizisten an Kreuzungen dienen bestenfalls als ambitionierte Dekoration: Räume und Funktionen sind nur lose aneinander gekoppelt.



Diese Form des in Grenzen Stabilen zieht sich wie ein Grundprinzip durch unterschiedliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Wer erwartet hier die Einhaltung von Fahrplänen, Verabredungen, Verträgen, Gesetzen, die vollständige Fertigstellung von Produkten oder Reparaturaufträgen, zuverlässige wissenschaftliche Recherchen oder eine verlässliche Bewertung von zentralen staatlichen Schulprüfungen?



Die Kommunikation mit Näherungswerten spiegelt sich in der Sprache wider, wird durch sie konserviert und pflanzt sich durch ihre Verwendung fort.



Auf diese Weise geprägt, bietet Gesellschaft kaum zuverlässige Handlungsrahmen und beraubt sich damit ihrer Planbarkeit; die gesamtgesellschaftliche Entwicklung wird so entschleunigt. Zu einer vergleichsweise ungehemmten Entwicklung kommt es überall dort, wo es dennoch gelingt, stabile Bedingungen zu schaffen.



Für den Einzelnen führt das Erleben einer ständigen Differenz zwischen Erwartungshaltung und tatsächlich Erreichtem schnell zu einer Art Dauerfrustration. Als Überlebensstrategie kann man entweder Erwartungshaltungen stark reduzieren und sich im Vertrauen auf eine regulierende Kraft treiben lassen oder Ziele und Erwartungen völlig von der Realität lösen und sich eine Scheinwelt basteln, die dem fremden Beobachter oft ein verstörtes Kopfschütteln abringt.

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